Predigt am 21.02.16 / 28.02.16
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2 Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. (Jes. 43, 1-3)
„Fürchte dich nicht! – Fürchtet euch nicht!“ dieser Satz kommt in der Bibel immer wieder vor, in vielen verschiedenen Zusammenhängen. Ich habe eine kurze Bestandesaufnahme gemacht:
Im Alten Testament geht es häufig um die Furcht vor feindlichen Heeren in den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen, in die das Volk Israel verwickelt war. Und die Feinde waren meistens militärisch überlegen. So heisst es im 2. Buch der Chronik: Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht vor diesem großen Heerhaufen; denn nicht eure, sondern Gottes Sache ist der Krieg. (2. Chr. 20,15)
Des weiteren solle man sich auch nicht fürchten vor fremden Beamten, denen man unterstellt ist, und auch nicht vor einem fremden König – das war besonders wichtig in der Zeit, als das Volk Israel nach Babylonien deportiert worden war. Ebenso wenig fürchten soll man sich vor der Beschimpfung durch Menschen. Richter sollen sich nicht fürchten vor angesehenen Leuten, wenn sie ohne Ansehen der Person Recht sprechen. Man soll sich auch nicht fürchten vor fremden Göttern, die ja doch nur Götzenbilder aus Holz sind.
Mit dem Satz „Fürchte dich nicht“ spricht Gott den Menschen auch Mut zu, wenn sie vor grossen Herausforderungen stehen: z.B. Abraham vor dem Auszug aus seiner Heimat in eine unbekannte Zukunft, dem Volk Israel vor der Eroberung des Landes Kanaan, König Salomo vor dem Bau des Tempels. Die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, steht auch oftmals bei der Berufung zum Propheten, wie z.B. bei Ezechiel: Du aber, Menschensohn, fürchte dich nicht vor ihnen, hab keine Angst vor ihren Worten! (Ez 2, 6)
Das Fürchte dich nicht steht auch oft im Zusammenhang mit der Verheissung einer besseren Zukunft, so auch bei der Rückkehr des Volkes aus der Babylonischen Gefangenschaft: Fürchte dich nicht, du, mein Knecht Jakob, spricht der Herr, verzage nicht, Israel! Denn ich bin es, der dich aus fernem Land errettet, /deine Kinder aus dem Land ihrer Gefangenschaft. Jakob wird heimkehren und Ruhe haben; /er wird in Sicherheit leben /und niemand wird ihn erschrecken. (Jer 46,28).
Mit dem Satz: Fürchte dich nicht werden auch häufig Erscheinungen Gottes oder von Engeln eingeleitet. Im Neuen Testament sagt ihn der Engel Gabriel zu Maria, als er ihr die Geburt Jesu verkündigt, ebenso die Engel zu den Hirten auf den Feldern Bethlehems. Schliesslich fällt dieser Satz auch am leeren Grab Jesu: Die Engel sagen es zu den Frauen, als sie nach Jesus suchen. Und schlussendlich sagt auch Jesus selber „Fürchtet euch nicht“, als er seinen Jüngerinnen und Jüngern als Auferstandener erscheint.
Wir sehen, die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, zieht sich wie ein roter Faden sowohl durch das Alte als auch durch das Neue Testament. Manchmal ist es eine Ermahnung, im Sinne von: „Du sollst dich nicht fürchten“, aber in den meisten Fällen ist es eine Ermutigung: „Du brauchst dich nicht zu fürchten“. Mit dem Satz „Fürchte dich nicht“ spricht Gott den Menschen Mut zu und weckt ihr Vertrauen in Gottes Kraft. Es ist eine Ermutigung in Not und Bedrängnis. Spricht Gott diesen Satz zu den Menschen, dann folgt häufig der Nachsatz: „…denn ich bin mit dir!“
„Fürchte dich nicht!“ – dieser Satz ist keineswegs veraltet. Er spricht auch zu uns. Gerade in heutiger Zeit haben wir es nötig, diesen Satz immer wieder zugesprochen zu bekommen. Denn Angst ist eine Erscheinung unserer Zeit. Und es gibt viele Gründe dafür.
Ein Blick in die Zeitung wirkt alles andere als beruhigend: Ich nenne nur Stichworte wie Klimaerwärmung, Flüchtlingskrise, Syrienkrieg, Terrorbedrohung, Frankenkrise, die Angst vor Arbeitslosigkeit und vor dem Verlust von Sicherheit und Wohlstand. Und für viele anstehende Probleme unserer Welt gibt es keine einfachen, schnellen Lösungen. Die Angst scheint also ein vorherrschendes Gefühl unserer Zeit zu sein.
Was genau ist eigentlich Angst? Der Begriff Angst stammt aus dem indogermanischen „angh“, lateinisch „angustus“ und bedeutet „eng“. Und wirklich, das Gefühl der Angst hat viel mit dem Gefühl der Enge zu tun. Wer Angst hat, fühlt eine Enge in der Brust, der Atem geht flach. Auch die Wahrnehmung verengt sich. In der Angst kreisen die Gedanken immer wieder um die befürchteten Dinge, man bekommt sozusagen einen Tunnelblick, bei dem alle andersartigen Gedanken ausgeblendet werden. Auf diese Art können ängstliche Gedanken zu einem Teufelskreis führen, in dem die Angst sich immer mehr verstärkt.
Doch viele Menschen gestehen sich Angst nicht gerne ein. Angst kann sich dann auch auf andere Art äussern, z.B. als Wut oder Aggression. Viele aggressive Menschen haben eigentlich Angst. Man hat Angst davor, in der Gesellschaft zu kurz zu kommen, Angst, seinen vielleicht bescheidenen Wohlstand zu verlieren. Diese Angst wird häufig projiziert auf das Fremde. Alles Fremde kann beängstigend sein, eben weil es fremd, andersartig, nicht vertraut ist. Angst vor dem Fremden ist also in Wirklichkeit Angst vor vielem anderen. Diese Angst mag nachvollziehbar sein. Es ist jedoch nicht eine Haltung, die weiterhilft und Probleme löst. Es ist eine Angst, die den Blick und das Denken verengt. Darum müssen wir darauf hinarbeiten, dass den Menschen ihre Angst genommen wird.
Doch leider wird Angst häufig auch noch geschürt. Viele Ängste werden den Menschen eingeredet. Sicher, wir müssen uns auch hier in der Schweiz vielen Problemen stellen, aber wir leben immer noch in einem der sichersten und wohlhabendsten Ländern dieser Welt. Demzufolge ist Angst ein schlechter Ratgeber. Sie darf uns nicht daran hindern, gemeinsam nach konstruktiven Lösungen für die anstehenden Probleme zu suchen.
„Fürchte dich nicht!“ – sagt Gott zu den Menschen. Ist das ein leichtfertiges Wegwischen von Angst und Problemen? – Auch wenn es gute Gründe gibt, manchmal Angst zu haben, ist das beste Rezept dagegen, sich seinen Ängsten zu stellen. Der Satz „Fürchte dich nicht!“ negiert nicht die Angst, macht sie nicht lächerlich, sondern nimmt sie ernst. Er will sagen: Auch wenn ihr Angst habt, gibt es einen Ausweg daraus. Der Gegensatz von Angst kann Mut sein. Im christlichen Kontext ist es auch Vertrauen. Vertrauen bedeutet, an etwas zu glauben, dass man nicht sieht. Vertrauen bedeutet, einer Situation einen Vorschuss zu geben, daran zu glauben, dass sie auch gut ausgehen kann. Vertrauen bedeutet ganz konkret, seine Ängste nicht zu verdrängen, sondern ihnen zu begegnen und ihnen etwas entgegenzusetzen. Es kann auch bedeuten, sich zu fragen: Was kann ich ganz konkret tun, damit die befürchtete Situation nicht eintritt? Es bedeutet, sich nicht gefangen nehmen lassen vom verengenden Tunnelblick, sondern den Blick zu weiten und nach Lösungen zu suchen, die aus den angstbesetzten Szenarien herausführen. „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!“ sagt Gott in der Bibel immer wieder zu den Menschen. Für religiöse Menschen bedeutet also die Überwindung der Angst ein Vertrauen auf Gott. So können wir aus dem beengenden Angstgefühl ausbrechen und unseren Blick auf gute Lösungen richten.
Gott ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Gott ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? – So betet es ein frommer Mensch in Psalm 27. Auch wenn dieser Mensch sich in Gefahr befindet, so setzt er doch sein Vertrauen ganz auf Gott. Das können wir uns zum Vorbild nehmen. Wenn wir Gott als unser Licht und unser Heil betrachten, wenn wir Gott als die Kraft unseres Lebens annehmen können, dann sollte eigentlich keine Gefahr uns noch schrecken können.
Auch wenn vieles im Leben bedrohlich sein mag – geben wir der Angst keine Chance. Begegnen wir unseren Ängsten und vertrauen wir auf den behütenden Gott, der uns begleitet in allen Bedrohungen. Nur so können wir an den Herausforderungen unserer Zeit arbeiten und den wirklich bedrohlichen Situationen Herr werden.