Zwischen den Jahren

Predigt am 31.12.15/01.01.16

10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran
11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.
13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben.
14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und adu sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.   (Gen. 28,10 – 15)

 

“Zwischen den Jahren“ – so nennt man diese Tage auch, in denen wir jetzt gerade leben.

In früheren Zeiten gab man den Tagen zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar eine besondere Bedeutung und nannte sie auch die „Zwölfnächte“, denn genau so viele Nächte sind es zwischen diesen beiden Daten; Silvester und Neujahr liegen genau in der Mitte. Der Ursprung dieser Zählung liegt im Unterschied zwischen dem Sonnenkalender und dem Mondkalender begründet. Zählt man, so wie früher, die Tage des Jahres nach den Mondphasen, so fehlen gegenüber unserem gewohnten 365 Tagen genau diese 11 Tage bzw. 12 Nächte. So betrachtete man früher diese Zeit auch als „Tage ausserhalb der Zeit“, als eine Art zeitliches Niemandsland.

Im alten Volksglauben spielten diese Tage und vor allem die Nächte eine besondere Rolle.

Man nannte sie auch die Rauhnächte. Woher das Wort kommt, ist umstritten. Vielleicht kommt es von Rauch, weil Häuser und Ställe in dieser Zeit mit Kräutern oder Weihrauch ausgeräuchert wurden, um böse Geister zu vertreiben. Oder es kommt vom Begriff rau. Man glaubte, es trieben sich raue Gestalten herum, z.B. mit Fell bekleidete Dämonen, die nachts ihr Unwesen treiben. Zur Mitte der Rauhnächte, also zu Silvester, soll die Wilde Jagd aufbrechen. In dieser Zeit stehe das Geisterreich offen und die Seelen der Verstorbenen sowie die Geister haben Ausgang, so glaubte man. Noch viele andere Geschichten und mancher Aberglaube ranken sich um die Rauhnächte. Lange Zeit hat man es in diesen Tagen vermieden, Wäsche zu waschen, damit sich die Geister nicht in der Leine verfangen und man sie dann nicht mehr los wird.

Auch heute noch haben sich Überbleibsel abergläubischer Bräuche um den Jahreswechsel erhalten, wie z.B. das Bleigiessen, um die Zukunft vorherzusehen. Auch Horoskope haben zu dieser Zeit wieder Hochkonjunktur. Man sagt auch heute noch, in diesen Nächten haben viele Menschen besonders intensive Träume.

Wie dem auch sei – auch für rational denkende Menschen stellen diese Tage eine Art Übergangszeit dar. Auch ohne in Aberglauben zu verfallen, kann man diese Zeit als eine Art Zwischenzeit betrachten, eine Zeit, in der die Zeit etwas anders läuft als sonst.

Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei, die Verwandten abgereist, die letzten Besuche sind gemacht worden. An den Feiertagen kommen oftmals Familienangehörige zusammen, die sich sonst fast das ganze Jahr über nicht sehen. Es können Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zutage treten. Aber auch wenn alles gut ist, können die Weihnachtstage auch eine emotionale Belastung sein. Weihnachten ist ein sehr gefühlsbetontes Fest, im Guten wie im Schlechten. Die Emotionen des Festes mit all seiner Symbolik, das Schenken und beschenkt werden, die Familienzusammenkünfte und oftmals auch die Erinnerungen, die mit diesem Fest verbunden sind, sind für viele Menschen auch emotional anstrengend oder können gar aufwühlend sein.

Wenn das alles vorbei ist, hat man meist ein Bedürfnis nach Ruhe. Mit Silvester und Neujahr stehen weitere Feierlichkeiten an. Bis Anfang Januar wieder der Alltag losgeht, sind noch ein paar Tage Zeit. Die Zeit zwischen den Jahren eben.

Viele Menschen nutzen diese Tage als eine Art innere Reinigungszeit. Es ist eine Zeit zum Innehalten. Man wird nachdenklich, zieht Bilanz über das vergehende Jahr und hält Ausblick auf das kommende. Viele Menschen achten in dieser Zeit auch besonders auf ihre Träume. Das muss nicht Aberglaube oder Esoterik bedeuten. Träume als Sprache der Seele sind ein guter Indikator dafür, was den Menschen im Innersten beschäftigt. Indem sie unser inneres, unterbewusstes Wissen anzapfen, sind sie ein Mittel der Verarbeitung von Erlebnissen und können uns auch etwas darüber sagen, was wir für die Zukunft unbewusst wünschen, hoffen oder befürchten.

In der Bibel wurden Träume als Sprache Gottes verstanden. Gott spricht in Träumen zu den Menschen, warnt sie vor Gefahren und gibt ihnen oftmals auch Anweisungen. Manchmal gibt Gott den Menschen im Traum aber auch wunderschöne Verheissungen über ihre Zukunft, wie z.B. an Jakob, der im Text unserer Lesung eine Himmelsleiter schaut. Mehr dazu später.

Aber auch wenn man mit Träumen nicht viel anfangen kann, lohnt es sich, in diesen Tagen über sich und sein Leben nachzudenken, Rückschau zu halten und das kommende Jahr gedanklich vorwegzunehmen.

Beim Rückblick auf das vergangene Jahr können folgende Fragen leitend sein:

Was durfte ich in diesem Jahr Schönes erleben? Welche schönen und intensiven Tage, Zeiten und Ereignisse sind besonders in meinem Gedächtnis haften geblieben? Wann habe ich das Leben ganz besonders geniessen dürfen? Habe ich neue Erfahrungen gemacht, die mir neue Perspektiven gezeigt haben? Was durfte ich lernen? Wo habe ich mich persönlich weiterentwickelt? Welche Menschen sind in diesem Jahr für mich wichtig gewesen? Und: Welche schwere Zeiten musste ich durchleben, was habe ich an Schwierigem erlebt, was ist mir zugestossen? Wie bin ich damit umgegangen? Wie konnte ich es bewältigen? Kann ich im Nachhinein auch im Schweren einen Sinn finden? Konnte oder kann ich aufhören, mit dem Unausweichlichen zu hadern? Kann ich auch das Unschöne, Traurige und Schwierige im Leben akzeptieren?

Wenn es um die Vorschau auf das neue Jahr geht, können wir uns diese Fragen stellen:

Was erwarte ich vom neuen Jahr? Was hoffe ich? Welche Daten und Ereignisse stehen schon fest? Was ist noch offen? Worauf freue ich mich? Wie kann ich meine Zeit gestalten, damit sie schön und erfüllend wird? Wie kann ich Beziehungen zu anderen Menschen intensivieren? Wie kann ich besonders gut zu mir selber schauen, damit es mir auch in anstrengenden Zeiten gut geht? Mit welchen Gewohnheiten und Ritualen kann ich meinen Alltag erleichtern und verschönern? Was möchte ich Neues in mein Leben bringen? Was möchte ich lernen? Wie kann ich mich persönlich weiterentwickeln? Wie kann ich Sinn, Tiefe und Erfüllung finden?

Aber auch: Was befürchte ich? Wovor habe ich Angst? Welche grossen Aufgaben und Herausforderungen warten auf mich? Wie kann ich sie am besten bewältigen? Wer kann mir dabei helfen? Bin ich auch gerüstet für das Unvorhersehbare? Was kann mir auch in schweren Zeiten Trost, Kraft und Hoffnung geben?

Und schliesslich stellt sich sowohl bei der Rückschau als auch bei der Vorschau die Frage: Welche Rolle spielt Gott dabei? In der vergangenen Zeit wie auch in der Zeit, die noch kommen wird? Habe ich Gottes Begleitung und Beistand im letzten Jahr wahrnehmen können? Wofür empfinde ich Dankbarkeit? Wie will ich Gott in mein Leben einbeziehen, um das Schöne wie auch das Schwere aus Gottes Hand nehmen zu können?

Vielleicht finden Sie in der nächsten Zeit ruhige Stunden, um sich mit solchen Fragen zu beschäftigen.

Auf dem Weg zwischen Vergangenheit und Zukunft befindet sich auch Jakob, als er seinen Traum von der Himmelsleiter träumt. Jakob ist unterwegs, er ist auf der Flucht, seine Zukunft ist ungewiss und ihm stehen grosse Herausforderungen bevor. In dieser Situation lässt Gott ihn dieses wunderschöne Bild schauen: Eine Leiter führt von ihm aus direkt in den Himmel. Engel steigen darauf auf und ab. Gott steht zuoberst und gibt Jakob eine Verheissung für seine Zukunft.

Und dabei sagt Gott etwas ganz Wichtiges: „Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.“

Gottes Beistand auf unserer Lebensreise, in guten wie in schlechten Zeiten: Ich wünsche Ihnen, dass Sie dies in ihrem Leben erkennen können, sowohl in der Rückschau auf das vergangene Jahr als auch im Vorausblick auf das Kommende.

Mögen wir in allem, was uns begegnet, die Verbindung zum Himmel und Gottes Begleitung erfahren können, das ist mein Wunsch für uns alle in diesem neuen Jahr.

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