Predigt am 20.03.16 (Goldene Konfirmation)
Alles, was auf der Erde geschieht,
hat seine von Gott bestimmte Zeit:
2 geboren werden und sterben,
einpflanzen und ausreißen,
3 töten und Leben retten,
niederreißen und aufbauen,
4 weinen und lachen,
wehklagen und tanzen,
5 Steine werfen und Steine aufsammeln,
sich umarmen
und sich aus der Umarmung lösen,
6 finden und verlieren,
aufbewahren und wegwerfen,
7 zerreißen und zusammennähen,
schweigen und reden.
8 Das Lieben hat seine Zeit
und auch das Hassen,
der Krieg und der Frieden
Alles, was auf der Erde geschieht, hat seine von Gott bestimmte Zeit.
(Prediger/Kohelet 3, 1-8, 1)
Liebe goldene Konfirmandinnen und Konfirmanden!
Sie sitzen hier, in dieser Kirche, in der Sie vor 50 Jahren konfirmiert wurden.
Ich kann mir vorstellen, dass dieser Moment für Sie ein besonderer Augenblick ist. Ich möchte Sie jetzt dazu einladen, einmal ganz bewusst zurückzudenken an jenen Palmsonntag 1966, als Sie hier als Konfirmandin oder Konfirmand in dieser Kirche sassen. Malen Sie sich diesen Moment ganz genau aus: Wie waren Sie gekleidet? Wissen Sie noch, wer neben Ihnen sass? Wie war die Kirche dekoriert? Welche Musik wurde gespielt, welche Lieder gesungen? Erinnern Sie sich noch daran, worüber gepredigt wurde? Und vor allem: Was hatten Sie für Gefühle in diesem Gottesdienst? War es gespannte Erwartung? Freude? Vielleicht auch etwas Angst oder Nervosität? Vielleicht ärgerten Sie sich auch über etwas oder waren aus irgendeinem Grund enttäuscht? Gab es auch Überraschendes?
Und was war das für ein Gefühl, als Sie nach vorne gerufen wurden zum eigentlichen Akt der Konfirmation? Wissen Sie noch ihren Konfirmationsspruch?
Und wie ist nachher der Tag verlaufen? Wie war die Feier? Wer war dazu eingeladen? Was gab es für Geschenke? Von wem gab es Glückwünsche?
Was hat dieser Anlass für Sie damals bedeutet?
Früher galt die Konfirmation noch mehr als heute als besondere Zäsur im Leben. Damals hiess es noch: Nach der Konfirmation darfst Du zum Abendmahl, nach der Konfirmation darfst Du in den Ausgang gehen etc. Man feierte mit diesem Anlass ganz bewusst den Übertritt ins Erwachsenenalter. Wie war das bei Ihnen? Was hat sich nach der Konfirmation für sie verändert?
Und was für Gefühle lösen diese Erinnerungen bei Ihnen jetzt aus? Vielleicht sind Sie belustigt, vielleicht ist es eher ein Gefühl der Wehmut, vielleicht schauen Sie mit Nachsicht und Verständnis auf das junge Mädchen oder den jungen Burschen, der oder die Sie damals waren, und müssen unwillkürlich über sich selber schmunzeln? Oder gibt es auch schmerzhafte Gefühle im Zusammenhang mit diesem besonderen Tag?
Und was hatten Sie damals für Träume? Hatten Sie bereits eine Lehrstelle oder wollten Sie auf eine höhere Schule wechseln – oder ins Welschland gehen? Sahen Sie Ihre berufliche Laufbahn schon vor sich oder war sie noch ungewiss? Hatten Sie Träume von einer Heirat und einer Familie? (Und wenn ja, wussten Sie vielleicht auch schon, mit wem Sie sich das wünschten?). Oder hatten Sie vielleicht ganz andere Pläne? Hatten Sie Träume, die Sie heute belächeln? Oder hatten Sie damals noch gar keine Vorstellung, wohin die Reise Ihres Lebens gehen könnte?
Wie dem auch sei – ich denke, sie alle blickten wahrscheinlich mit Spannung auf das Erwachsenwerden und auf die neuen Freiheiten, die damit verbunden sein würden. Sie würden sich bald vom Elternhaus lösen und ihre eigenen Wege gehen können. Zur Zeit Ihrer Konfirmation standen Sie an der Schwelle zum Erwachsenwerden mit allen Gedanken und Gefühlen, die damit verbunden waren.
Und nun sitzen Sie hier, 50 Jahre später.
Alles hat seine Zeit.
Wenn sie jetzt auf Ihr bisheriges Leben zurückblicken – wie ist es verlaufen? Welche Wünsche und Träume haben sich erfüllt, welche nicht? Haben Sie Dinge erreicht oder verwirklicht, von denen Sie als junger Mensch nicht einmal geträumt haben? Haben Sie vielleicht auch Ernüchterungen und Enttäuschungen erlebt? Hat Ihr Leben unerwartete Wendungen genommen? Zum Guten oder vielleicht auch zum Schlechten? Haben sich in ihrem Leben neue Horizonte aufgetan, von denen sie zum Zeitpunkt der Konfirmation noch keine Ahnung hatten?
Wohin hat Sie das Leben geführt, welche Wege haben Sie eingeschlagen?
Wo haben Sie Ihre eigenen Entscheidungen getroffen, wann und wie hat das Leben sich von selber gefügt? Haben Sie ihr Leben weitgehend selber gestaltet oder hat das Schicksal ihr Leben gestaltet?
Alles hat seine Zeit.
Der Bibeltext aus Prediger 3 bringt viele Beispiele aus dem Leben: Geboren werden und sterben, einpflanzen und ausreißen, töten und Leben retten, niederreißen und aufbauen, weinen und lachen, wehklagen und tanzen, Steine werfen und Steine aufsammeln, sich umarmen und sich aus der Umarmung lösen, finden und verlieren, aufbewahren und wegwerfen, zerreißen und zusammennähen, schweigen und reden, lieben und hassen, Krieg und Frieden.
Überlegen Sie sich nun: Was davon gab es in Ihrem Leben? Sammeln und wegwerfen? Finden und verlieren? Wehklagen und tanzen? Sich umarmen und sich trennen? Lachen und Weinen? Lieben und Hassen? Sicher gab es vieles davon, denn solche Dinge kommen fast in jedem Leben vor. Auf Ihrem Lebensweg der letzten 50 Jahre haben Sie vielleicht manchmal Schwieriges, aber hoffentlich auch viel Schönes erlebt.
Alles hat seine Zeit.
Wie immer Ihr Leben in den letzten 50 Jahren auch verlaufen sein mag – es stellt sich nicht die Frage, ob es ein eher gutes oder ein eher schlechtes Leben war. Es geht vielmehr darum, wie wir das, was wir erleben deuten. Sehen wir uns als Spielball des Schicksals oder haben wir unser Leben selber in die Hand genommen? Ist unser Leben eine Anhäufung beliebiger Ereignisse, oder können wir so etwas wie einen roten Faden, einen tieferen Sinn erkennen? Betrachten wir unser Leben als eine Verkettung sinnloser Zufälle? Oder gibt es für uns eine höhere Macht, unter der unser Leben Sinn und Bedeutung bekommt? Können wir in unserem Lebensweg auch Gottes Führung, Gottes Mitgehen und Begleitung erkennen? Können wir in Gott die Macht sehen, unter deren Schutz und Schirm wir unseren Weg gehen konnten? Konnten wir auch in schwierigen Zeiten eine sinnvolle Führung durch Gott erkennen? Haben wir durch den Glauben Trost, Hoffnung und Kraft erfahren können? Oder haben wir manchmal auch Gottes Beistand vermisst?
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage: Was ist die führende Kraft in unserem Leben? Auf welchen Werten haben wir unser Leben aufgebaut? Ist es die Hoffnung auf das schnelle Glück und das grosse Geld, auf den Erfolg notfalls auch mit Hilfe der Ellbogen, auf ein Leben in Saus und Braus, bei dem keines unserer Wünsche unerfüllt bleibt? Oder was ist es sonst? Welche Werte, Hoffnungen und Ziele haben uns geleitet und leiten uns bis heute?
Alles hat seine Zeit.
Vielleicht haben Sie zur Zeit Ihrer Konfirmation in Vielem anders gefühlt und gedacht als heute. Doch etwas ist gleich geblieben: Sie gehen als getaufter Mensch durchs Leben; bei der Konfirmation haben Sie dies bewusst bestätigt. Das bedeutet, dass Ihr ganzes Leben unter dem Stern der Taufe steht, oder wir können auch sagen: unter dem Stern Gottes. Alles, was Sie erlebt haben und was Ihnen zugestossen sein mag, können Sie unter diesem Vorzeichen betrachten. Das Leben ist eben nicht einfach eine Verkettung sinnloser Zufälle, es hat einen tieferen Sinn. Sie sind Gottes geliebtes Geschöpf, Gott hat Sie niemals allein gelassen, auch wenn einiges im Leben nicht nach Wunsch verlaufen sein sollte.
Alles hat seine Zeit.
Es gibt auch eine Zeit der Jugend und eine Zeit des Alters. Jetzt sind Sie im Pensionsalter, man nennt dies auch den 3. Lebensabschnitt oder sogar den Lebensabend oder den Lebensherbst. Aber ich möchte solche Begriffe gar nicht verwenden, sie tönen so, als sei das Leben eigentlich schon fast vorbei. Für viele Menschen in diesem Alter fängt aber das Leben noch einmal so richtig an. Es geht also heute nicht nur um die Vergangenheit, es geht auch um die Zukunft.
Wie wollen Sie nun den folgenden Lebensabschnitt in Angriff nehmen? Wollen Sie ihn aktiv gestalten oder ihn passiv erleiden?
Sehen sie sich als Objekt eines blinden Schicksals oder können sie ihrem Leben jedem Tag einen neuen Sinn abgewinnen? Möchten Sie den roten Faden ihres Lebens weiterspinnen, oder wollen Sie vielleicht mit etwas ganz neu anfangen? Und welchen Platz möchten Sie Gott dabei einräumen?
Sie haben es in der Hand: Als getaufte und konfirmierte Menschen sind Sie dazu eingeladen, jeden Tag neu im Lichte der Taufe und des Konfirmationssegens zu betrachten, das bedeutet nichts anderes als Ihr Leben mit den Augen Gottes anzuschauen.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen für ihren zukünftigen Lebensweg alles Gute und Gottes Segen.