Alles hat seine Zeit

2020-04-12 17.18.27

Schriftliche Besinnung, 26. April 2020

Alles hat seine Stunde.
Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit:
eine Zeit zum geboren werden und eine Zeit zum Sterben,
eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Ausreissen der Pflanzen,
eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen,
eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen,
eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen,
eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz,
eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln,
eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen,
eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren,
eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen,
eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen,
eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden,
eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen,
eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden. (Prediger 3, 1-7)

Alles hat seine Zeit. Die Worte aus dem biblischen Buch Prediger sind schon zu geflügelten Worten geworden. Gerade jetzt scheinen sie besonders wahr zu sein.
Wir erleben jetzt eine besondere Zeit. Es wird wohl kaum jemand geben, der diese Zeit nicht später als ganz spezielle Episode in seiner Biografie in Erinnerung behalten wird. „Es war während der Corona-Zeit“, werden wir später über diese Zeit sagen. Es ist eine Zeit, in der so vieles anders ist als sonst. Unser Alltag verläuft nach anderen Regeln als gewohnt.

Alles hat seine Zeit. So ist es immer, in jedem Leben: Es gibt Zeiten der Jugend und des Alters, der Freude und der Trauer, der Krankheit und der Gesundheit, der Aktivität und der Ruhe. Wenn wir auf unser bisheriges Leben zurückblicken, werden wir verschiedene Zeiten erkennen können, in denen das Eine oder das Andere im Vordergrund stand. Unser Leben verläuft nicht gleichförmig.

Und jetzt ist eben nicht die Zeit um zu Reisen, Feste zu feiern oder viele Freunde zu treffen. Dafür gibt es anderes, das ansteht: sich in sein Zuhause zurückziehen, die Herausforderungen des Alltages kreativ meistern, aufmerksam dafür sein, wo jemand Hilfe benötigt und mehr als sonst auf das eigene Wohlbefinden achten. Im erzwungenen Rückzug sehen wir vieles, das vorher selbstverständlich war, mit anderen Augen, richten unsere Kraft auf andere Tätigkeiten, nehmen unsere Mitmenschen anders wahr, lernen Dinge zu schätzen, die wir vorher nicht beachtet hatten. Vielleicht kommen wir auch ins Nachdenken darüber, wie wir die Beziehung zu unseren Mitmenschen gestalten wollen, was Gesundheit für uns bedeutet und was uns in unserem Leben wirklich wichtig ist. Vielleicht werden wir „danach“ vieles anders sehen, Prioritäten neu setzen und unser Leben bewusster gestalten.

Wir alle wissen nicht, wie diese spezielle Zeit noch verlaufen und wie lange sie andauern wird. Doch ich möchte zu dem „Alles hat seine Zeit“ noch ein zweites Bibelwort hinzufügen:

Ich aber, Gott, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen. (Ps. 31, 15 – 16)

Was immer auch kommen mag – es ist gut zu wissen, dass Gott all die Bewegungen unserer Lebenszeit in seinen Händen hält. Wir dürfen auch unsere unruhigsten Zeiten in Gottes Hände legen, wo alles gehalten, geborgen und aufgehoben ist.

Wacht und betet!

Besinnliche Worte zum Karfreitag 2020

Darauf kam Jesus mit ihnen zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu den Jüngern: Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete! Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Traurigkeit und Angst, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! (Matthäus 26, 36-41)

Die seelische Not Jesu ist gross in diesem Moment. Er weiss, dass ihm schreckliches Leiden bevorsteht. Er ist überzeugt, dass er sich diesem Leiden stellen muss. Und er stellt sich jetzt auch seiner Traurigkeit und seinen Ängsten. Er läuft nicht vor ihnen davon, sondern bringt sie bewusst vor Gott. Das schafft ihm Erleichterung, auch wenn er weiss, dass Gott diesen Kelch nicht von ihm abwenden kann.
In dieser schweren Stunde braucht Jesus nicht nur das Gespräch mit Gott. Er braucht auch ganz konkret den Beistand seiner Jünger. Doch zu seiner grossen Enttäuschung findet er sie schlafend.

Meine Seele ist zu Tode betrübt. – Es gibt jetzt auch bei uns Menschen, die das von sich sagen können. Menschen, die sich einsam fühlen, die grosse Angst vor einer Ansteckung haben, die in Sorge um Angehörige sind, beruflich mit ihren Kräften an Grenzen stossen, die fürchten, ihre wirtschaftliche Existenz zu verlieren oder denen das Zuhausebleiben in einem engen Umfeld unerträglich wird. Oder sogar Menschen, die erkrankt sind oder einen nahen Mitmenschen verloren haben.

So ergeht der Auftrag „Bleibt hier und wacht mit mir!“ auch an uns. Es gilt, mitfühlend und wachsam zu sein gegenüber dem Leiden unserer Mitmenschen, gerade wenn wir selber etwas weniger schwer betroffen sein sollten von den Schwierigkeiten dieser Zeit.
Denn jetzt kommt ein ganz spezieller Zug des Christentums besonders deutlich zum Ausdruck: Der Gott, von dem uns die Passionsgeschichte Zeugnis gibt, ist ein Gott, der bei den Leidenden ist und sie nicht alleine lässt. Darum sind wir jetzt dazu aufgerufen, zu fragen, was wir in dieser schwierigen Zeit tun können, um füreinander da zu sein.

Gerade jetzt, wo keine gemeinsamen Veranstaltungen mehr möglich sind, geht es darum, auf andere Art kirchliche Gemeinschaft zu leben. Das ist durchaus möglich, indem wir uns umeinander sorgen, füreinander „wachen und beten“, das heisst also, einander nicht allein zu lassen, auch wenn ein physisches Beisammensein nicht möglich ist. Auch und gerade jetzt kann Kirche zu einem Ort werden, an dem das Wohl der Schwachen im Mittelpunkt steht. Denn die Gemeinschaft aller Christinnen und Christen war schon immer ein unsichtbares Band, das die ganze Welt umfasste. So wie es uns mit Glaubensgeschwistern in der ganzen Welt verbindet, das Unservater zu beten, so kann es eine Art geistliche Energie geben, wenn wir in der Not einander beistehen.
So können wir mit guten Gedanken oder im Gebet, mit Telefonanrufen oder Gesprächen über die Balkonbrüstung, mit konkreten Hilfeleistungen oder Spenden für die Mitmenschen da sein, die uns jetzt brauchen. Seien es die eigenen Eltern oder Verwandte, Nachbarn oder auch unbekannte Menschen weit weg, in anderen Ländern und Teilen dieser Erde.

So ist die Bitte Jesu „Bleibt hier und wacht mit mir“, ausgesprochen in tiefster seelischer Not, ein Appell an uns, nicht zu schlafen, wenn Menschen uns brauchen.
Wenn wir in diesen Tagen dem Leidensweg Jesu gedenken, kann der Gott in uns lebendig werden, der nicht ein ferner Weltenlenker ist, sondern ein Gott, der gerade mit den Leidenden ist und ihnen in tiefster Not beisteht.