Predigt am 21.08.16, Gottesdienst auf dem Bauernhof. Zuvor wurden vier Kinder getauft.
Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Und er sprach: Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden? Es ist wie ein Senfkorn: wenn das gesät wird aufs Land, so ist’s das kleinste unter allen Samenkörnern auf Erden; und wenn es gesät ist, so geht es auf und wird größer als alle Kräuter und treibt große Zweige, sodass die Vögel unter dem Himmel unter seinem Schatten wohnen können. (Mk. 4, 26 – 32)
Jesus verdeutlichte seine Botschaft gerne mit Gleichnissen. Diese sind oftmals spannende Texte mit reichem Gehalt. Oftmals handelt es sich um ganze Geschichten mit komplexen Handlungen; so geht es z.B. um Raubüberfälle, um Familienkonflikte oder sogar um das Handeln von Königen.
In diesem Gleichnis hingegen wird ein ganz einfacher Vorgang aus der Natur beschrieben. Es geht um das Wachstum einer Pflanze. Ein Vorgang, der jedes Jahr im Frühling und im Sommer milliardenfach geschieht. Aus einem Samen wird ein Halm, eine Pflanze, eine Frucht, die schliesslich geerntet werden kann.
Jedes Jahr können wir diesen Ablauf wieder täglich beobachten: Wie im Frühling die Knospen beginnen zu spriessen, wie die Halme aus der der Erde hervorkommen, wie es überall wächst und beginnt zu grünen und zu blühen. Der Rasen muss in immer kürzeren Abständen gemäht werden, und kaum ist das Unkraut gejätet, spriesst es wieder von Neuem hervor. Die Saat auf den Feldern wird immer höher und üppiger, bis die Getreidehalme im Wind wogen und die Maispflanzen neben den Feldwegen hohe Wände bilden.
Was da geschieht, ist für uns eine Selbstverständlichkeit und doch eigentlich jedes Mal wieder ein Wunder.
Es gibt einen Satz in dem Gleichnis, der dieses Wunder besonders gut beschreibt: „Er weiss nicht wie“. Der Bauer tut nichts anderes, als den Samen in die Erde zu setzen; der Rest geschieht von selber. Der Mensch begeht inzwischen seinen Tageslauf, und mit der Zeit wird aus dem Samen, den er gesät hat, eine Pflanze, die schliesslich Frucht bringt, die er ernten kann und von der er sich und seine Familie ernähren kann.
Das ist ein für ihn lebenswichtiger Vorgang. Aber: Er weiss nicht, wie es geschieht. Es geschieht von alleine. Er selber setzt den Samen, er kann zuschauen, wie es wächst, und am Ende kann er ernten. Viel mehr kann er nicht dazu tun. Das Eigentliche geschieht ohne sein Zutun. Er weiss nicht wie.
Es ist ein altes Gleichnis aus einer anderen Zeit als die Heutige. In heutiger Zeit begnügen wir uns nicht mehr damit, zu warten, wie etwas von selber geschieht. Heute wollen wir alles in unserem Leben selber planen, organisieren, kontrollieren, optimieren und gestalten. Wir wollen nichts dem Zufall überlassen! Unser Leben soll bis ins hinterletzte Detail hinein geplant und gesteuert werden. Wenn etwas nicht funktioniert, dann soll es zum Funktionieren gebracht werden. Und wir wollen alles verstehen. Wir wollen ganz genau wissen, wie und warum etwas funktioniert. So hat sich der Mensch mit der Zeit die Natur unterworfen. Seit der Zeit der Aufklärung herrscht die Haltung vor, alles und jedes sei machbar und manipulierbar. Wir geben uns nicht mehr damit zufrieden, geduldig zu warten, wie etwas entsteht. Wir wollen alles vorherbestimmen, anpacken, machen.
In der Landwirtschaft versucht man das Wachstum mit künstlichem Dünger zu optimieren, natürliche Risiken mit Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden möglichst auszuschalten. Riesige Traktoren und Landmaschinen perfektionieren und optimieren die Arbeit. Tiere werden gezüchtet, damit sie viel Ertrag bringen. Auch in der Landwirtschaft wird also nichts mehr dem Zufall überlassen. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, denn die modernen Methoden haben auch dazu geführt, dass wir bei uns keine Hungersnöte mehr kennen und dass alle am Schluss genug auf dem Teller haben.
Und doch gibt es da einen Punkt, an dem alles Optimieren und Kontrollieren an Grenzen stösst. Dieses „Er weiss nicht wie“ ist trotz aller Technologie nicht ausgeschaltet. Auch jetzt noch ist schlussendlich alles davon abhängig, dass es von selber wächst. Dieses natürliche Wachstum kann durch keinen Fortschritt, keine Chemie und keine Technologie ersetzt werden. Auch wenn das Wachstum beeinflusst werden kann – ein kleines Stück Unverfügbarkeit, dieses „Er weiss nicht wie“ ist immer noch dabei. Die Natur, das Wachsen und Gedeihen ist nicht durch Menschenhand machbar. Wir haben es nicht im Griff, und das beste Beispiel dafür ist die Tatsache, dass auch bei uns dieses Jahr die Ernte um einige Prozentpunkte schlechter ausfallen wird als sonst. Der viele Regen im Frühling war nicht vermeidbar. Das Eigentliche also, das Wichtigste bei dem ganzen Vorgang haben wir Menschen nicht im Griff, es ist nicht steuer- oder manipulierbar.
Wachstum ist immer ein langsamer Prozess. Wachstum geschieht meist gemächlich, schleichend, leise, unbemerkt und unerklärlich. Und es geschieht von selber. Wenn etwas wächst, ist das jedes Mal ein kleines Wunder.
Wachstum geschieht nicht nur in der Landwirtschaft. Wachstum geschieht auch in vielen anderen Bereichen unseres Lebens.
Wir haben vorhin schon über die Geburt eines Kindes gesprochen. In der heutigen Zeit gibt es ja viele Möglichkeiten der Familienplanung bis hin zur künstlichen Befruchtung. Die meisten modernen Menschen möchten solche Möglichkeiten nicht mehr missen. Auch Schwangerschaft und Geburt werden nicht mehr gänzlich der Natur überlassen. Es gibt Möglichkeiten der menschlichen Eingriffe, um die Geburt zu erleichtern und Komplikationen zu verhindern, die bei uns selbstverständlich geworden sind.
Aber das Eigentliche dieses Vorganges, das Werden eines Menschen ist und bleibt ein Vorgang der Natur. Auch hier gilt es: Wir wissen nicht wie. Ein Kind entsteht einfach, wir können diesen Vorgang mit unserem Zutun nur begleiten. Glücklicherweise gibt es noch keine Technologie, um Menschen selber herzustellen. Bestrebungen in dieser Richtung, wie z.B. das Klonen oder Eingriffe in menschliches Erbgut sind ethisch problematisch und müssen sorgfältig diskutiert werden.
Wachstum geschieht also von selber und ist nur bedingt beeinflussbar. Ob ein Kind ein Junge oder ein Mädchen wird, ob eine Gurke gerade oder schief wächst, können wir kaum beeinflussen. Ob es regnet oder die Sonne scheint, ob es gewittert oder hagelt – auch das ist nicht von Menschenhand steuerbar.
Ob etwas gelingt oder nicht und wie etwas herauskommt, hängt nicht nur von unserem Zutun ab. Wir können helfen, die Möglichkeiten zu schaffen, damit etwas wachsen kann. Wir können die Bedingungen begünstigen und Risiken minimieren. Wir können viel dazu tun, damit etwas gelingt. Aber das Wachstum selber liegt letztlich nicht in unserer Hand.
Wenn wir das erkennen und respektieren, dann gewinnen wir eine Haltung der Demut. Das bedeutet, die eigenen Grenzen anzuerkennen, und zu akzeptieren, dass es etwas gibt, das Grösser ist als wir selber. Es bedeutet, eine Haltung der Geduld, des Vertrauens, des Respektes und nicht zuletzt der Hoffnung einzunehmen. Es bedeutet die Bereitschaft, etwas einfach geschehen zu lassen, und das, was gelingen soll, in Gottes Hand zu legen, es Gott anheim zu stellen im Vertrauen darauf, dass es gut kommt. Es bedeutet, etwas von unserem Machbarkeitsdenken aufzugeben und uns auf das zu besinnen, was wirklich unsere Aufgabe ist.
Bei diesem Gleichnis geht es eigentlich nicht um Landwirtschaft. Es geht um das Reich Gottes, um die bessere Welt, die wir alle herbeisehnen. Es beschreibt unsere Rolle bei der Arbeit für dieses Reich. Wir spielen dabei eine Rolle, aber sicher nicht die Hauptrolle.
Das darf aber nicht bedeuten, dass wir die Hände in den Schoss legen und sagen: Wir können ja doch nichts machen. Wir können sehr viel und sehr Wichtiges tun. Wir können den Samen setzen, den Boden bereiten, die Bedingungen schaffen, damit etwas gelingt. Und wir können ernten und die Ernte gerecht verteilen.
Wachstum gibt es in vielen Bereichen unseres Lebens. Ob es nun um ein Getreidefeld geht, um das Aufziehen von Kindern, um eine wirtschaftliche Investition, um ein Projekt, um das Zusammenleben von Menschen, um die Gestaltung der Zukunft, um Frieden, um Liebe – überall geht es um Wachstum, das nicht allein in unserer Hand liegt. Doch wenn wir alle daran mitarbeiten, wenn wir jedes für uns das dazutun, was wir haben und können, dann kann ein Vorhaben wachsen und zu etwas Grösserem werden. Wir alle können etwas dazu beitragen, dass aus einem kleinen Samen ein grosser Baum wird, in dem die Vögel nisten.